Andacht Juni 2022
Lege mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm.
Denn Liebe ist stark wie der Tod.
Hoheslied 8, 6
„Er küsse mich mit dem Kusse seines Mundes; ja, deine Liebe ist köstlicher als Wein.“ Mit diesen Worten beginnt das „Hohelied Salomos“, das „Lied der Lieder“, wie es im hebräischen Urtext lautet. Ein richtiges Liebeslied, eine Geschichte der Zuneigung zweier junger Liebender, eine Folge von Liedern, in denen mal der junge Mann, mal die junge Frau spricht. Hat ein solcher, durchaus erotischer Text einen Platz im Zentrum der Bibel? In meinem Bibelexemplar steht es genau in der physischen Mitte des Buches: das „Hohelied“ beginnt auf Seite 1019 und es schließen sich weitere 1020 Seiten an das Ende der Dichtung an.
Aber ist das ein Wunder? Die ganze Bibel ist doch letztlich eine Liebesdichtung, ein hohes Lied der Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen, zu uns Menschen. So haben es auch Propheten mit deutlichen Anklängen an das „Hohelied“ gesehen, z.B. Jesaja 62, 5, wenn er von Zion spricht: „Denn wie ein junger Mann eine Jungfrau freit, so wird dich dein Erbauer freien, und wie sich ein Bräutigam freut über die Braut, so wird sich dein Gott über dich freuen.“ Hosea, Jeremia und Hesekiel haben das Abfallen Israels von seinem Gott als ehelichen Treuebruch behandelt.
Ihren Höhepunkt hat die Liebesgeschichte der Bibel im Neuen Testament, in dem, was sie von Jesus sagt, dem Sohn Gottes. Jesus selbst nimmt die Gedanken auf, z.B. im Gleichnis von der königlichen Hochzeit (Matthäus 22), in seiner Einstellung zum Fasten seiner Anhänger (vgl. Markus 2, 19). Hierher passt auch die Antwort Johannes des Täufers (Johannes 3, 29). Denn Jesu „Braut“ sind seine Anhänger, ist die Gemeinde. Paulus tadelt die Gemeinde in Korinth „Denn ich eifere um euch mit göttlichem Eifer; denn ich habe euch verlobt mit einem einzigen Mann, damit ich Christus eine reine Jungfrau zuführte. Ich fürchte aber, dass, wie die Schlange Eva verführte mit ihrer List, so auch eure Gedanken abgewendet werden von der Lauterkeit und Reinheit vor Christus“ (2. Korinther 11, 2f). Oder „Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie auch Christus die Gemeinde geliebt hat und hat sich selbst für sie dahingegeben“ (Epheser 5, 25). Ja, sogar in den Tod hat sich Jesus Christus hingegeben.
Jesus ist die personifizierte Liebe Gottes zu den Menschen. Nicht nur, dass er die Notleidenden, die Gelähmter, die Blinden und Taubstummen geheilt hat und Tote wieder ins Leben zurückgeholt hat, er hat das wichtigste Gebot (s. z.B, Matthäus 22, 34ff) ständig gelebt. Sein Lieben ist treffend beschrieben im 1. Brief des Apostels Paulus an die Korinther im 13. Kapitel.
„Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde“ (Johannes 15, 13) sagt Jesus zu seinen Jüngern, sagt er uns. Nicht nur, dass man sich für seine Freunde einsetzt, dass man sie unterstützt, dass man ihnen behilflich ist, was ja schon eine ziemliche Zumutung sein kann. Nein, nicht nur Zeit und Geld will Jesus einsetzen für seine Freunde, sondern dass eigene Leben. Er will sterben für seine Freunde, für seine Jünger, für uns. Denn nur so ist der unmittelbare Zugang zum heiligen Gott möglich, können wir uns mit „Abba, lieber Vater“ (vgl. Römer 8, 15) dem himmlischen Vater nähern.
„Lege mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm. Denn Liebe ist stark wie der Tod“ sagt Jesus zu seiner Braut, der Jüngerschar, der Gemeinde. Eng verbunden mit Jesus sollen wir sein, so wie ein Siegel mit der Urkunde, die es beglaubigt. Denn seine Liebe ist nicht nur stark wie der Tod, seine Liebe überwindet den Tod. Mit Jesus wird alles Dunkle, dem Leben Feindliche überwunden. Er ist das Fundament unseres Lebens.
Uns zum Heil!
Ulrich Lorenz, Berlin