Andacht Mai 2023

Ich will nicht nur im Geist beten, sondern auch mit dem Verstand.


1. Korinther 14, 15

Für sich alleine genommen ist die Monatslosung für den Mai scheinbar völlig auf die Feste abgestellt, die die Christenheit in diesem Jahr in diesem Monat feiert und die alle den Heiligen Geist betreffen: Himmelfahrt, Pfingsten und Trinitatis, das Fest der Dreieinigkeit. Denn

Pfingsten, das Fest der Ausgießung des Heiligen Geistes, ermöglicht es, eine Woche später

Trinitatis, die Einheit von Gott, Jesus und dem Heiligen Geist zu feiern. Und die

Himmelfahrt Jesu Christi war die Voraussetzung: der Heilige Geist wurden den Christen von Jesus angekündigt und versprochen für die Zeit, in der er nicht mehr unter den Menschen weilen, sondern zum himmlichen Vater, zu Gott, zurückgekehrt sein würde, wie es zur Himmelfahrt geschieht (Johannes 16, 7).

Was ist das für "Geist", von dem hier die Rede ist?

Im Zusammenhang des Briefes an die Gemeinde in Korinth, aus dem unser Text stammt, spricht der Apostel Paulus die Tatsache an, dass es Menschen gibt, die durch den Geist Gottes, den "heiligen Geist", erfüllt werden und dann in der Lage sind, Dinge zu sagen, die weit über ihren Kenntnisstand und ihre Bildung hinausgehen - und das auch noch in Sprachen, die sie bisher nicht kannten und die doch von Ausländern als ihre Heimatsprache erkannt werden. So geschah es in Jerusalem an dem Tag, den wir heute mit Pfingsten feiern. So geschah es aber offenbar auch in Korinth während der Gottesdienste: es traten Menschen vor die Gemeinde und beteten in für die Gemeinde unverständlichen Lauten.

Der Apostel Paulus war offenbar ein praktischer und nüchterner Mensch. Ihm stelle sich die Frage nach dem Nutzen eines solchen Gebetes im Gottesdienst. Wenn niemand in der Gemeinde das Gebet versteht, dann kann es auch keiner - wenigsten in Gedanken - mitbeten und so hat die Gemeinde nichts davon. Deshalb legt der Apostel Wert darauf, dass das Gebet im Gottesdienst nicht nur erfüllt ist vom heiligen Geist, sondern auch verständlich, dem Verstand, und zwar dem der Zuhörer, zugänglich sein muss. Das meint er, wenn er davon spricht: "Ich will nicht nur im Geist beten, sondern auch mit dem Verstand."

Dabei geht es um das öffentliche Gebet, nicht um das Zwiegespräch des Einzelnen in seinem Kämmerchen mit Gott. Gott erfüllt uns Christen mit heiligem Geist, z.B. damit wir das Wort Gottes, das wir in der Bibel lesen, recht verstehen, und auch damit wir unsere persönlichen Anliegen richtig einordnen können, z.B. um sie Gott als Bitte vorzutragen.

Ob hierbei auch der Verstand, die Vernunft, beteiligt ist, hängt vom Einzelfall ab. Wenn ich mich auf eine Prüfung nicht vorbereitet habe, obwohl die Gelegenheit gegeben war, dann ist es unvernünftig auf Gott zu hoffen. Das Gebet wird sehr wahrscheinlich nicht erfüllt, obwohl es natürlich gehört wird.

Es scheint ebenso unvernünftig zu sein, trotz des endgültigen Urteils der Ärzte, dass der Krebs in meinem Körper unheilbar ist, Gott zu bitten, die Krankheit zu stillen. Dennoch ist dieses Gebet berechtigt. Denn ich glaube dem Wort Jesus Christi, dass er ein guter Hirte, Gott ein liebender Vater ist und für mich sorgt. "Alles, was ihr glaubend im Gebet erbittet, werdet ihr erhalten." (Matthäus 21, 22) verspricht uns Jesus - sollten wir nicht auf ihn hören? Sollten wir nicht auf Gottes allmächtiges Handeln hoffen?

Mit dem Verstand ist es in diesem Zusammenhand so eine Sache - wir können oft nicht verstehen, warum unsere Gebete, die wir "glaubend erbitten" und die wir für berechtigt halten dennoch nicht erhöhrt werden. Das mag daran liegen, dass unser Verstand nicht ausreicht, unsere gegenwärtige Lage richtig einzuschätzen. Wir bitten zwar glaubend, aber aus der Sicht Gottes unvernünftig, so dass er unsere Bitte offenbar nicht erfüllen kann. Gott sieht weiter und tiefer als wir. "Denn emeine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR; sondern soviel der Himmel höher ist denn die Erde, so sind auch meine Wege höher denn eure Wege und meine Gedanken denn eure Gedanken." (Jesaja 55, 8 und 9). Er handelt mit größerem Weitblick, als es uns möglich ist.

Das habe ich in meinem Leben oft genug erkannt. Im Nachhinein stellte ich oft fest, dass so, wie sich mein Leben entwickelt hat, es besser war, als ich es mit meinem Gebetswunsch erreicht hätte. Nun konnte ich mit dem Liederdichter sagen "Was Gott tut, das ist wohlgetan ..." und aus dieser Erkenntnis heraus für mich fortfahren "... wie er fängt seine Sachen an, will ich ihm halten stille." (GL 512 / EG 372).

Ulrich Lorenz